Vor dem Fest

sasa-stanisic-vor-dem-fest Vor etwa anderthalb Jahren geisterte durch von mir gelesene Feuilletons immer wieder ein Buch. Den Titel merkte ich mir schnell, des Autors Namen war mir nicht immer direkt und sicher geläufig, man erkannte ihn aber wieder. Die Informationshäppchen, die hängen geblieben waren, sahen ungefähr so aus: Spielt im Osten (d.h. ehemalige DDR); ein Blick von außen; Darstellung eines Alltags einer skurilen Gegend, wobei skuril auch gern vor „Darstellung“ und „Alltag“ stehen kann. Negativ waren die Literaturkritiken eigentlich nie, eher auf eine ganz bestimmte Art zurückhaltend positiv, so als ob man sich nicht wirklich traue, das besonders Gute auch so zu nennen: Besonders gut eben. Dazu ist das Setting auch vielleicht zu befremdlich: Ein Autor vom Balkan schaut sich den Alltag in der Uckermark an. Und man weiß nicht recht, woher das befremdliche Element darin stammt. Von den absurden Elementen in der Erzählung, von dem Blick des Fremden auf die eigene, nun ja: Heimat, oder von den eigenen Unsicherheiten hinsichtlich des Alltags in der brandenburgischen Provinz. So landete das Buch zunächst in der Kategorie „Wenn ich mal viel Zeit habe und es mir über den Weg läuft, lese ich es vielleicht mal. Könnte unter Umständen interessant sein.“ Die eigene Unsicherheit lag auch im Titel begründet: Vor dem Fest, fast archaisch einfach, aber dennoch mit einer gewissen Magie versehen, von der man nicht wusste, inwiefern sie im Buch eine Rolle spielt. Die Rezensionen hatte sich in der Frage der Klärung des Titels auffallend zurückgehalten – oder nein: Es war schon beschrieben, aber es blieb stets ein gewisses Maß an Ungewissheit. Die beschriebenen Umstände konnten doch allein niemals rechtfertigen, dass diese rein zeitliche Angabe (vor dem Fest) zum Titel eines Buches gemacht wird. Da musste doch noch mehr dahinterstecken. Aber was? Das blieb im gefühlten Nicht-Umgang mit dem Buch ungeklärt. Der Titel deutet wohl auch – beabsichtigt oder nicht – ein tragisches Finale an: Auf dem Fest selbst, da wird was passieren. Oder eben kurz vorher, als Kumulation der Ereignisse. Und die Erzählweise des Buches nutzt genau dieses Spannungsmoment. Man erwartet stets das Unvorhersehbare, das Besondere, etwas, das alles über den Haufen wirft. Worin dies aber besteht, darin schwiegen sich die Rezensionen weidlich aus, und man fragte sich, warum dieser schwarze Fleck bestehen blieb.

Wahrscheinlich wäre es bei dieser Unsicherheit schlicht geblieben und das Buch irgendwann in der persönlichen Erinnerung versunken. Während des letzten eigenen Urlaubs in der Uckermark wurde ich aber beinahe mit Gewalt darauf gestoßen: Eine Bekannte hatte das Buch dabei, was ich mir dann doch gern auslieh. Und so saß ich an einem der zahlreichen uckermärkischen Seen und las und las. Las von launischen Fährleuten, las von Garagentrinkern, las von depressiven Ex-Stasi-Offizieren, las von Jugendlichen, die eine Ausbildung zum Glöckner machen, las von mythischen Dorfgeschichten, las von Geschichten, die in Heimatarchiven schlummern. Das wäre alles vielleicht gar nicht so aufregend, wenn man die Gegend nicht wenigstens als Tourist kennen würde, und wenn in den verschachtelten Erzählsträngen nicht eine fast provokative Unaufgeregtheit zum Tragen kommen würde. Der insgeheim erhoffte große Knall, die Erleuchtung des schwarzen Flecks bleibt am Ende aus. Und dennoch passieren quasi unter der Hand andauernd tragische, anrührende, mystische, unverständliche, menschliche Dinge, die vor der drohenden Gewalt des Titels aber allesamt verblassen. Man erwartet das Große und bekommt stattdessen eine Verkettung von alltäglichen Absurditäten. Genau darin besteht aber die Spannung und die Kraft des Buches. Die scheinbare Lethargie wird so zur erzählerischen Größe: Es passiert eigentlich nichts, man muss aber trotzdem unbedingt weiterlesen. Aber nein, es passiert doch was, sogar sehr viel. Aber es hat alles – um es mit Douglas Adams zu sagen – kosmisch gesehen überhaupt keine Bedeutung. Und trifft so am Ende sicherer als anderes den Charakter einer Gegend.

Nach dem Lesen wünschte ich mir, dass dieses Buch in jedem Buchladen und in jeder Tourist Information der Region vorrätig sein sollte. Gleich direkt an der Kasse, wo meist eh nichts Wertvolles liegt. Lest es, ihr Gäste, lest es ihr Einheimischen. Ein erster praktischer Test noch während des Urlaubs war negativ.

Saša Stanišić: Vor dem Fest, Luchterhand, München 2014

 

 

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