Alpenbrevet 2025 [Pässe 13, 14, 15 und 16 von 100]

[06.09.2025] Über das Alpenbrevet hatte ich einmal vor einer Weile in einer Radzeitschrift gelesen. Es wurde dort als sehr sympathisch beschrieben, da familiär und ohne Wettkampfcharakter. Als ich diesen Frühsommer mal spaßeshalber auf die Veranstalter-Webseite schaute, sah ich, was ich eigentlich erwartet hatte: Alles ausgebucht. Man konnte sich aber noch auf die Warteliste setzen lassen, musste aber eine konkrete Wunschstrecke angeben (Bronze, Silber, Gold, Platin), mit aufsteigender Länge, Passanzahl und natürlich auch Höhenmetern. Ich wählte Gold, 200 km schienen mir machbar, wenn auch aufgrund der 5000 Hm nicht geschenkt … Ich wollte aber nicht wegen der Streckenlänge dahin, sondern wegen den Pässen. Und da stand bei Gold folgendes auf dem Tableau: Oberalp-Pass, Lukmanier-Pass, Nufenen-Pass, Furkel-Pass. Wer sich das auf der Karte anschaut: Einmal rund um das St. Gotthard-Massiv, selbigen Pass in der Mitte aber auslassend.

Ca. anderthalb Monate vor dem Termin kam dann die erhoffte Mail – ich durfte starten! Alle Sportlerinnen und Sportler wissen: Wenn die Anmeldung zu einem Event steht, kommt richtig Zug in Training und Vorbereitung. So auch bei mir: Ich fuhr die Pässe virtuell ab (sofern bei Rouvy verfügbar) und kümmerte mich vor allem endlich mal um eine vernünftige Übersetzung an meinem Rennrad. Mit 34 (vorn) und 30 (hinten) als kleinstem Gang wollte ich da nicht antreten. Da mein kurzer Schaltkäfig aber für größere Kassetten nicht ausgelegt war, hieß es erst einmal Käfig wechseln, dann Kassette, und dann auch gleich noch Kette: Nach einigem notwendigen Gebastel vor allem beim Käfigwechsel war ich mit 34/34 dann absolut ausreichend ausgestattet.

Und dann ging es los mit dem Auto Richtung Andermatt [1447m], dem Start- und Zielort mitten in den Schweizer Alpen. Für mich war die Gegend absolutes Neuland. Da die avisierten Campingplätze alle schon ausgebucht waren und das wilde Campen in der Gemeinde explizit untersagt ist, wollte ich unbedingt auf dem großen Parkplatz direkt am Eventcenter einen Platz finden. Man konnte hier nicht vorbuchen, wer kam, der kam, bis es eben voll ist. Freitag gegen Mittag war ich da, noch ausreichend Platz vorfindend, 100m von Orgbüro, Klo und Dusche – das war schon mal geritzt! Leider spielte das Wetter an diesem Tag aber nicht wirklich mit: Es war recht kühl und regnete immer mal wieder. Nur ein kleiner Spaziergang zur nahen Teufelsbrücke, mehr war nicht drin. Erst gegen Abend zog es auf, sodass ich gerade noch im Hellen wenigstens eine kleine Runde mit dem Rad fahren konnte, um alles für den morgigen großen Tag zu checken. Die folgende klare Nacht sollte für den morgigen Tag aber nichts Gutes bringen.

Auf geht’s …

Der Start der Gold-Tour war um 6 Uhr. Als halb fünf mein Wecker im Bus klingelte, sah ich: Die Außenseite der Frontscheibe war gefroren! Jetzt, ca. vier Wochen später, kann ich das langsam einschätzen: Ich habe in dem Moment in den Überlebensmodus geschaltet: Um durch diesen Tag zu kommen, musste ich ruhig und konzentriert meine Abläufe machen, jedem Risiko möglichst umfänglich vorbeugend. Das Ziel war schlicht: Gesund wieder ankommen. Auf etwas kühleres Wetter war ich bekleidungstechnisch eingestellt, aber nicht auf Frost. Mit dem Start waren es dann wenigstens ca. 2 Grad plus und los ging’s … Durch’s dunkle Andermatt die ersten Serpentinen Richtung Oberalp-Pass – die lang sich hochwindende Schlange der Radlichter sah schon sehr cool aus!

An Genießen war aber nicht wirklich zu denken: Meine eigentlich nicht geplante Extra-Jacke sollte ich noch bis oben auf dem zweiten Pass anhaben. Irgendwie ging es zunächst darum, einen vernünftigen Rhythmus zu finden, bei dem einem nicht zu warm und nicht zu kalt ist, ohne sich vom Tempo der anderen verrückt machen zu lassen. Also auf eine Weise so temperiert zu agieren, die schon bald folgende Abfahrt auch wärmetechnisch zu überstehen.

Abwärts vom Oberalp-Pass nach Disentis

Nach ca. einer Stunde hatte ich die ersten 600 Höhenmeter absolviert und den Oberalp-Pass [2044m] erreicht. Es war inzwischen hell, die Sonne aber noch hinter den Bergen. Ich war letztlich durchaus akzeptabel warm gekleidet. Für die meisten anderen galt das nach meiner Beobachtung eher nicht: Nach der folgenden Abfahrt, auf der es immerhin ca. 900 Hm bergab ging, im Ort Disentis [1130m] unten, lag die erste Verpflegungsstelle: Hier schlottern alle wie verrückt und versuchten sich gegenseitig durch Reiben etwas aufzuwärmen … Ich schob mir etwas Brot mit Käse rein, nahm noch zwei Riegel mit und fuhr so schnell es ging weiter. Da ich nicht der Schnellste hier war, musste ich versuchen, meine Standzeiten kurz zu halten, um im Zeitlimit zu bleiben.

Als zweiter Pass stand der Lukmanier-Pass [1917m] auf dem Programm, das bedeutete ca. 800 Hm Anstieg. Der Lukmanier wird oft als verkehrsarme Alternative zum St. Gotthard benannt, was er definitiv auch ist. Landschaftlich ist er vielleicht nicht ganz so schön, da der eigentliche Scheitelpunkt der Straße in einer langgestreckten Galerie liegt. (Die wurde in den 60er Jahren errichtet, da ein gutes Stück der alten Passstraße in einem Stausee verschwinden sollte. Kann man schön auf Wikipedia nachlesen und auch anschauen.) Aber dafür wirklich fast kein Verkehr, aber gut, es war auch noch vor 10 Uhr an einem Samstagmorgen. Jetzt war die Sonne auch dauerhaft über den Bergen aufgegangen und fing an zu wärmen. Oben angekommen, konnte ich mir zumindest schon mal die Extra-Jacke ausziehen. So langsam streckten sich die 1500 Fahrer der Goldstrecke auch mehr und mehr auseinander. Größere Gruppen gab es nun kaum noch.

Auf dem Lukmanier

Die Abfahrt hinunter zum nächsten Verpflegungspunkt in Olivone [902m] hat dann schon richtig Spaß gemacht: Es wurde wärmer, die Landschaft einladender, es ging ja auch in den Süden, und ich war über den Alpenhauptkamm … Nach der Verpflegung konnte ich dann sogar kurz-kurz weiterfahren: Die Sonne schien, der Himmel war blau: So soll das sein. Die weitere Strecke ging dann noch lange immer leicht bergab bis letztlich 300 m Ü. NN, dem tiefsten Punkt der Runde, der in Biasca erreicht war.

Hier bog die Strecke wieder nach Norden ins Valle Leventina und sollte mit dem Nufenen-Pass [2478m] den Talausgang finden. Das bedeutete mehr als 2000 Hm am Stück, ausgedehnt auf eine Strecke von 60 km! Zunächst gab es noch sehr lange Passagen, wo der Talanstieg nur sehr gering zu spüren war. In diesem Sektor fand ich auch das erste und einzige Mal eine passende kleine Gruppe, mit der ich etwas Tempo fahren konnte. Aber sobald der Anstieg begann seriös zu werden, war auch diese kleine Episode schon wieder zu Ende.

Nach gut der Hälfte der Strecke im Ort Airolo [1141m] lag der dritte Verpflegungspunkt. Hier zweigte es steil rechts hoch zum St. Gotthard ab, der als Abkürzung Richtung Andermatt zu verwenden gewesen wäre. Cut-off-Zeit in Airolo war laut Veranstalter 14 Uhr. Ich kam eine reichliche halbe Stunde vor der Zeit an. Der sehr schön im Ortskern von Airolo gelegene Verpflegungspunkt war auch noch sehr voll mit Radfahrern, da hier alle vier Strecken durchgingen. Ich kann nicht sicher sagen, ob hier wirklich geschaut wurde, dass niemand mehr geradeaus weiterfährt. Das Durcheinander der Strecken und Fahrer war m.E. noch zu groß.

Irgendwo Richtung Nufenen-Pass

Nach einem wieder bewusst so kurz wie möglich gehaltenem Stopp durfte ich aber noch ganz sicher weiter fahren: Weiter ging es Richtung Nufenen! Der Anstieg nahm kaum merklich aber stetig zu. Dabei verging Stunde um Stunde. Am Ende bin ich ca. 5 Stunden am Stück bergauf gefahren. Schnell ist ganz sicher anders, aber ich rollerte ruhig und konzentriert voran. Mittlerweile war es nach 15 Uhr, ich saß seit mehr als 9 Stunden auf dem Rad, und: Ich konnte den ganzen Süßkram nicht mehr sehen. Gels, Bars – selbst die Cola im bald folgenden letzten Checkpoint fühlte sich nicht so gut im Magen an.

Ziemlich genau 16 Uhr war ich dann oben auf dem Nufenen-Pass. Hier bot sich ein fantastisches Panorama: Ein kleiner Bergsee, ein Restaurant und in der Ferne schneebedeckte Berge! Der Nufenen ist mit 2478 m der höchstgelegene Pass in der Schweiz. Regelmäßig kann er erst gegen Mitte Juni für den Verkehr geöffnet werden, da vorher noch winterliche Bedingungen herrschen. Ende Oktober ist dann auch meist schon wieder Schluss.

Anfahrt Furka, die Sonne steht schon tief

Nach wieder mehr als 1000 Hm Abfahrt stand nur noch der Furka-Pass vor mir. Nach dem letzten Verpflegungspunkt in Ulrichen [1346m], verengte sich schon relativ schnell das Tal und am Ende war eine krasse in den Hang gebaute Straße zu erkennen: Da sollte es also hingegen. Irgendwann überholte mich ein Postbus (im Übrigen durchaus riskant), und einige Minuten später sah ich ihn oben am Hang die Serpentinen nehmen. Ich werde deutlich länger bis dahin brauchen, das war klar … Nach einer Weile stellte ich überrascht fest, dass das Tal noch eine Biegung nach rechts machte. Die Straße gerade vor mir oben am Hang war nicht der Weg zum Furka-, sondern zum Grimselpass, der hier noch abzweigte. Ok, der Furka war also vielleicht nicht ganz so schlimm, dachte ich.

Die letzten steilen Meter am Hotel Belvedere

Inzwischen folgte wiederholt das Gleis der Furkabahn dem Verlauf der Straße, bis dieses im finalen Tunnel verschwand. Und dann sah ich das heutige Ziel der Begierde: Der letzte Anstieg am Ende des Talkessels. Die Abendsonne schien genau im richtigen Winkel in das Talende hinein und zeigte mir das dramatisch am Hang liegende ehemalige Hotel Belvedere unterhalb des eigentlichen Passes. Man war das schön! Aber ich konnte nicht mehr richtig. Es war jetzt gegen 18 Uhr, ich brauche noch Energie dachte ich, aber auf dem Kram, den ich bei mir hatte, verspürte ich keinen Appetit. Also einfach mental noch einen Gang runterschalten, die Gegend genießen und wenn ich oben bin, dann habe ich es geschafft.

Einige der schon längst versprengten Radfahrerinnen und Radfahrer der Goldroute sammelten sich im letzten Anstieg wieder zu vielen kleinen Restgrüppchen zusammen. Wenn an einer kleinen Ausfahrt jemand anhielt, um nochmal Luft zu holen und Kraft zu schöpfen, fand sich schnell ein Zweiter und Dritter, der auch nochmal eine kleine Pause einlegte. Die nun schon tief stehende Abendsonne verwandelte die komplett offene Wiesenlandschaft des Talkessels in ein wunderschönes Ambiente. Und trotz der letzten Sonnenstrahlen war es schon wieder spürbar kühler geworden. Die Armlinge hatte ich schon eine Weile wieder dran.

Passfoto Nr. 4 des Tages

Gegen 19 Uhr, also nach fast genau 13 Stunden, hatte ich die letzten der fast 5000 Höhenmeter absolviert und war oben auf dem Furka-Pass [2429m]! Das vierte und letzte Pass-Foto für heute: Ein Engländer bot sich direkt an, von mir ein Foto zu machen. Die allgemeine Stimmung der paar Leute, die mit mir in dem Moment oben waren, war recht gelöst denn es war klar, man hatte es faktisch schon geschafft.

Bevor es in die schon sehr schattige Abfahrt nach Andermatt ging, zog ich alles wieder an: Beinlinge, Jacke, lange Handschuhe. War alles keineswegs übertrieben, denn die Temperaturen wurden ins Tal wieder einstellig. Noch einmal 20 km bergab, eine reichliche halbe Stunde (vielleicht auch etwas mehr) Konzentration, hier sollte nun ganz sicher nichts mehr schiefgehen. Und dann ja: Ich fuhr vor dem für 21 Uhr festgelegten Zielschluss über die finale Linie in Andermatt. Dank vorheriger Matte und Transponder stand sogar mein Name auf dem großen Zieldisplay, als ich durchgerollt bin. Was macht man in dem Moment? Ich bin dann manchmal leicht am Wasser gebaut, Heulen hilft, eine gute Mischung aus Erleichterung, Traurigkeit (ob der „sinnlosen“ Plage) und Freude. Es war tatsächlich geschafft!

Im dunklen Morgenfrost für den Start präpariert – tagsüber bestes Sonnenwetter – und Richtung Ziel schon wieder kalt und dunkelwerdend – was für ein Tag auf dem Rad!

Und ich muss wiederkommen: Susten, Grimsel und St. Gotthard stehen noch auf der Liste. Aber den Parkplatz, wo ich auch mit meinem Bus stehen kann, kenne ich nun schon.

This article was written by st

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.