Danke, Georg Seeßlen. Der eigentlich primär als Kultur- und Filmkritiker bekannte Schriftsteller hat sich jüngst im Freitag Gedanken über die aktuelle und leider sehr massive Rechtsbewegung im politischen Raum Gedanken gemacht. Nicht, dass dies andere nicht auch tun würden. Die meisten der entsprechenden Analysen kommen aber sehr ontisch daher und beschäftigen sich vordergründig mit Fragen wie, ob nun Person XY aus der AfD und deren Umfeld nun Nazi sei und so genannt werden dürfe oder nicht. Dies oft auch hart geführten Debatten sind zwar auch wichtig, lenken aber, oft auch aufgrund ihrer schieren zeitlichen Länge von den aktuellen Problemen oft ab. Und die Probleme entstehen da, wo Menschen tatsächliches Leid erfahren: Sei es, dass von „konservativer“ Seite Zuwanderung kriminalisiert wird, sei es, dass die FDP sich einen Sch*** um ihre liberalen Grundwerte kümmert, sei es, dass unter der rechten Regierung in Italien Sozialleistungen gekürzt werden. Den aktuell stattfindenden und nicht mehr zu verkennenden politischen Verschiebungen in Richtung eines post-demokratischen Zeitalters haben viele aktuelle Regierungen in Europa nichts entgegenzusetzen, im Gegenteil: In nicht wenigen Ländern sind Parteien mit entsprechender expliziter Programmatik bereits an Regierungen beteiligt. Und wie das in der Bundesrepublik Deutschland nach den nächsten Landtagswahlen aussehen wird, kann man auch nur wahrhaft dunkel ahnen.
Genau diese stattfindenden tektonischen Verschiebungen hat Georg Seeßlen in den Blick genommen und als reale Prozesse der Faschisierung benannt. Diese Prozesse sind vielfältig und erobern erfolgreich die „soziale Trägermasse“. Natürlich möchte sich niemand „in die rechte Ecke stellen“ lassen, aber das ist nur die Oberfläche, denn, so die übliche Replik nach der Beobachtung Seeßlens: a) man sei ja kein Totalfaschist und b) man wolle die deutschen Nationalsozialismus ja nicht 1:1 wiederholen. Wenn schon das ausreichen soll, ist wahrlich nicht mehr viel für die Demokratie zu holen.
Seeßlen lenkt den Blick auf die stattfindenden Prozesse statt auf Seinsbeschreibungen, auf die semantischen als auch ganz realen sozialen Dynamiken statt auf oberflächliche zähl-demokratische Zahlenverhältnisse. Faschisierung beinhaltet nach Seeßlen die auch gewalttätige Ablehnung des demokratischen Staates und seiner öffentlichen Verwaltung, der Polizei (uhh, manchmal eher weniger …), und der Justiz. Für Demokratie einzustehen (obwohl man vielleicht sogar mehr will als das), kann in realen sozialen Beziehungslagen ohnmächtig machen, währen die Entscheidung pro Faschisierung ein Gefühl von Macht erzeugt: Das wirkt selbstverstärkend und kann jedenfalls nicht durch halbherzige Demokraten gebremst werden, die selbst gern am populistischen Kern der Faschisierung teilhaben möchten.
https://www.freitag.de/autoren/georg-seesslen/ruck-nach-rechts-prozesse-der-faschisierung
(leider hinter paywall)