Der Ungeist von Potsdam

Ach ja, die Garnisonkirche mal wieder. Nicht die in Dresden, die durchaus ansprechend in der Flucht der Alaunstraße in der Äußeren Neustadt zu sehen ist, sondern die Potsdamer. Und die macht deutlich mehr Ärger, obwohl es sie gar nicht gibt. Von der naiven Unhistorik, einfach alte Gebäude möglichst orignalgetreu wieder aufzubauen, will ich heute gar nicht sprechen. Wobei das darin verborgene Sehnsuchtsdenken sicher auch irgendwie zur Rettung des Abendlandes beitragen soll. Und das hat in Potsdam ausnahmsweise nichts mit den ach so wenigen besorgten Spaziergängern zu tun: Die Idee des Wiederaufbaus kam nicht aus Potsdam, sondern aus einem stramm militaristischen Umfeld der alten Bundesrepublik (vgl. Artikel taz v. 13.10.12), welches organisatorische Traditionen bis hin zur Waffen-SS vorweisen kann.

Das denen an der Wiedererrichtung der Kirche gelegen haben könnte, ist in aller Deutlichkeit kürzlich in der ZEIT zu lesen gewesen. Der „Geist von Potsdam“, der in dieser Kirche wehte, war, so heißt es in dem Artikel, „Treue bis in den Tod, bedinungsloser Gehorsam, Kampf bis zum letzten Blutstropfen“. Das war, so ist sich der Autor nach vielerlei Archivstudien sicher, auch kein Unfall, keine Ausnahme, dass es eben auch mal Hitler da war, vielmehr hatte die Ausrichtung System. Sie entwickelte sich nach 1918, so schreibt der Autor, gar zu einer „Trutzburg […] der Nationalisten, Antidemokraten und Antisemiten aller Coleur“. Und er belegt dies mit zahlreichen Beispielen aus dem Alltag der Kirche bis 1945.

Während Deutschland sich recht mühsam zur Demokratie entwickelt hat, deren spezielle Entwicklungsgeschichte sowieso unterbelichtet ist, soll im 21.Jahrhundert ein Monument der militaristischen Antidemokraten wieder aufgebaut werden? Das kann – trotz aller Umdeutungsbemühungen der Befürworter – kein gutes Zeichen sein.

 

Matthias Grünzig: Der Ungeist von Potsdam. Die Garnisonkirche war einst ein Wahrzeichen der preußischen Residenzstadt. Nun wird, nach jahrelangem Streit, über ihren Wiederaufbau entschieden. Zeit, die finstere Geschichte des Gebäudes offenzulegen, in: DIE ZEIT No. 15 v. 31.03.2015, S. 15 (leider aktuell nicht auf ZEIT ONLINE verfügbar; Nachtrag am 17.04.16: Jetzt ist der Artikel online: hier)

 

sowie auch:
Erenz, Benedikt: Keine Ahnung, nie gehört. Warum nur wollen so viele Deutsche nichts von ihrer Geschichte wissen? Mutmaßungen zum 18.März, in: DIE ZEIT Nr. 13 v. 17.03.2016, S. 21

 

This article was written by st